DIE BAY´A UND DIE DEMOKRATISCHEN WAHLEN

28-04-2020

Die Bay´a und die demokratischen Wahlen

 

Die Demokratie basiert auf zwei Grundideen:

1. Volkssouveränität

2. Alle Macht geht vom Volke aus

Das Volk besitzt seinen eigenen Willen und steuert ihn selber. Könige und Klerus haben keine Verfügungsgewalt mehr. Das Volk übt seinen Willen auch selber aus. Da es die Souveränität innehat, über seinen eigenen Willen verfügt und diesen steuert, hat es auch die Gesetzgebungsgewalt inne, die der Ausdruck seiner Willensausübung und Willenslenkung ist. Auch ist sie der Ausdruck des allgemeinen Willens der Volksmassen. Die eigentliche Gesetzgebung übt das Volk über die Parlamentsabgeordneten aus, die es wählt, damit diese sie in seinem Namen durchführen. Das Volk hat das Recht je nach seinen situationsbedingten Interessen, jegliche Verfassung oder Ordnung und auch sonst jedes Gesetz zu beschließen oder auch aufzuheben. Es hat die Legitimation, die Staatsform von einer Monarchie in eine Republik zu verwandeln und umgekehrt. Ebenso kann es das republikanische System von einem präsidialen in ein parlamentarisches oder ein parlamentarisches in ein präsidiales umwandeln. So ist es z.B. in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland geschehen, wo das Staatssystem abwechselnd von einem monarchischen in ein republikanisches und von einem republikanischen in ein monarchisches umgewandelt wurde. Ferner hat das Volk die Macht, die Wirtschaftsordnung von einer kapitalistischen in eine sozialistische zu ändern und umgekehrt. Überdies legitimierte es mit Hilfe seiner Abgeordneten Religionsabtrünnigkeit, Unzucht und Homosexualität und erlaubte sogar die aus den beiden letztgenannten resultierende Geschäftemacherei. Nachdem alle Macht vom Volke ausgeht, bestimmt es auch nach Belieben den Herrscher. Er wendet das ihm vom Volk vorgelegte Gesetzbuch auf das Volk an und regiert es danach. Das Volk kann den Herrscher auch absetzen oder ihn gegen einen anderen auswechseln. Denn letztlich geht die Macht von ihm aus; und von ihm bezieht der Herrscher seine Machtbefugnis.

Im Islam hingegen hat das islamische Recht die Souveränität inne und nicht die Umma. Allah (t) allein ist der Gesetzgeber. Die Umma in ihrer Gesamtheit hat nicht das Recht, selbst auch nur ein einziges Gesetz zu verabschieden. Wenn beispielsweise die Muslime sich alle zusammen setzten und einstimmig beschließen würden, Zinsen zu legalisieren, um, wie es heißt, die Wirtschaft anzukurbeln. Oder sie würden bestimmte Plätze einrichten, in denen legal Unzucht (zina) betrieben werden kann, um diese unter den Menschen einzudämmen. Oder sie kämen einstimmig überein, Privatbesitz zu verbieten bzw. das Gebot des Fastens aufzuheben, um die Produktion zu steigern. Ferner könnten sie geschlossen übereinkommen, die Idee der allgemeinen Freiheiten zu übernehmen. Diese ließe dem Muslim die freie Wahl, seine Glaubensüberzeugung nach Belieben zu wählen und sein Vermögen mit allen Mitteln zu vermehren, auch wenn diese islamrechtlich verboten sind. Schließlich würde ihm in diesem Falle auch die persönliche Freiheit zukommen, die ihm erlaubt, nach Lust und Laune sein Leben zu genießen, Alkohol zu konsumieren und Unzucht zu begehen. Solch übereinstimmender Konsens hat islamrechtlich keinerlei Bedeutung. Aus islamischer Sicht hat das keinerlei Wert. Sollte eine Gruppe von Muslimen dies durchführen, muss sie solange bekämpft werden, bis sie ihr Vorhaben fallen lässt. Denn die Muslime sind bei all ihren Handlungen im Leben an die Gebote und Verbote Allahs gebunden. Es ist ihnen nicht erlaubt, irgendeine Handlung zu setzen, die im Widerspruch zu den Gesetzen des Islam steht. Ebenso ist es ihnen strikt verboten, von sich aus Gesetze zu erlassen, und sei es nur eine einzige Rechtsvorschrift. Denn Allah allein ist der Gesetzgeber. Der Erhabene sagt:

فَلَا وَرَبِّكَ لَا يُؤْمِنُونَ حَتَّىٰ يُحَكِّمُوكَ فِيمَا شَجَرَ بَيْنَهُمْ

„Aber nein, bei deinem Herrn! Sie glauben nicht eher, bis sie dich über das richten lassen, was zwischen ihnen umstritten ist. (…)“ (Der edle Koran 4:65)

 

إِنِ الْحُكْمُ إِلَّا لِلَّـهِ ۖ

„(…) Das Urteil/die Entscheidung obliegt allein Allah. (…)“ (Der edle Koran 6:57)

 

أَلَمْ تَرَ إِلَى الَّذِينَ يَزْعُمُونَ أَنَّهُمْ آمَنُوا بِمَا أُنزِلَ إِلَيْكَ وَمَا أُنزِلَ مِن قَبْلِكَ يُرِيدُونَ أَن يَتَحَاكَمُوا إِلَى الطَّاغُوتِ وَقَدْ أُمِرُوا أَن يَكْفُرُوا بِهِ

„Hast du nicht jene gesehen, die behaupten, an das zu glauben, was zu dir (als Offenbarung) herabgesandt worden ist, und was vor dir herabgesandt wurde, während sie sich in Entscheidungsfragen an falsche Götter/Götzen wenden wollen, wo ihnen doch befohlen worden ist, es zu verleugnen? (…)“ (Der edle Koran 4:60)

Sich bei einer Rechtsentscheidung an die „falschen Götter/Götzen“ (Taghut) zu wenden, bedeutet, nicht nach der Offenbarung Allahs zu richten, d.h. sich auf nichtislamische Gesetze, die von Menschen stammen, zu beziehen. Ferner sagt Allah:

أَفَحُكْمَ الْجَاهِلِيَّةِ يَبْغُونَ ۚ وَمَنْ أَحْسَنُ مِنَ اللَّـهِ حُكْمًا لِّقَوْمٍ يُوقِنُونَ ﴿٥٠﴾

„Begehren sie etwa das Urteil der Unwissenheit? Wer kann denn besser walten als Allah für Leute, die (in ihrem Glauben) überzeugt sind?“ (Der edle Koran 5:50)

Die Rechtsprechung des Heidentums (Jahiliyya) bezeichnet jene Gesetze, die nicht von Allah offenbart wurden. Mit anderen Worten ist es die Rechtsprechung des Unglaubens, die von Menschen stammt.

فَلْيَحْذَرِ الَّذِينَ يُخَالِفُونَ عَنْ أَمْرِهِ أَن تُصِيبَهُمْ فِتْنَةٌ أَوْ يُصِيبَهُمْ عَذَابٌ أَلِيمٌ ﴿٦٣﴾

„(…) So mögen sich jene, die sich Seinem Befehl widersetzen, in Acht nehmen, dass sie nicht Drangsal befalle oder schmerzliche Strafe treffe.“ (Der edle Koran 24:63)

Die Warnung Allahs, sich Seinem Befehl zu widersetzen, ist die Warnung davor, der Rechtsprechung von Menschen zu folgen und sich von der übermittelten Offenbarung des Propheten (صلى الله عليه و سلم) abzukehren. Der Gesandte Allahs sprach:

„Wer eine Handlung begeht, die nicht auf unserem Befehl beruht, so ist sie zurückzuweisen.“ (Buchari, Muslim)

Mit dem Ausdruck „unserem Befehl“ ist im Hadis der Islam gemeint. Zahlreiche weitere eindeutige Verse und Hadise bekräftigen, dass die Souveränität dem islamischen Recht obliegt und dass Allah der alleinige Gesetzgeber ist. Sie machen klar, dass es den Menschen nicht erlaubt ist, Gesetze zu erlassen, und sie in jedem Fall all ihre Handlungen im Leben an den Geboten und Verboten Allahs ausrichten müssen. Der Islam beauftragte die Muslime mit dem Vollzug der Gebote und Verbote Allahs. Dieser Auftrag bedarf einer ausführenden Kraft. Deshalb legte der Islam der Umma die Macht in die Hand, d.h. das Recht, den Herrscher zu wählen, damit dieser die Gebote und Verbote Allahs auf sie anwendet. Dies entnimmt man den Hadisen über die so genannte Bayʿa (Treueeid), die den Muslimen das Recht zusprechen, einen Kalifen mit einem Treueschwur einzusetzen, der auf das Buch Allahs und der Sunna Seines Propheten (صلى الله عليه و سلم) hin geleistet wird. Der Gesandte Allahs (صلى الله عليه و سلم) sagt:

من مات وليس ف عنقه بيعة مات ميتة جاهلية

„Wer stirbt, ohne im Nacken eine Bayʿa zu tragen, stirbt dem Tod der Jahiliyya.“

Von Abdullah ibn Amr wird berichtet, der sprach: Ich hörte, wie der Gesandte Allahs sagte:

„Wer einem Imam (Kalifen) die Bayʿa leistet, ihm seinen Handschlag und die Frucht seines Herzens gibt, der soll ihm gehorchen, solange er dazu imstande ist. Sollte ein anderer kommen und es ihm streitig machen, so schlägt dem anderen den Kopf ab.“

 Ferner wird von Ubada ibn Samit berichtet, der sagte:

„Wir leisteten dem Gesandten Allahs (صلى الله عليه و سلم) die Bayʿa, sowohl im Liebsamen als auch im Unliebsamen zu hören und zu gehorchen.“

Weitere zahlreiche Hadise manifestieren die Tatsache, dass die Umma den Herrscher mit einem Treueeid auf das Buch Allahs und die Sunna Seines Gesandten aufstellt. Wenngleich das islamische Recht der Umma die Macht übertragen und ihr die Befugnis erteilt hat, über den Weg der Bayʿa jemanden aufzustellen, der sie regiert und in ihrer Vertretung mit dieser Macht betraut wird, so hat es ihr nicht das Recht zuerkannt, den Herrscher abzusetzen, wie es im demokratischen System der Fall ist. Denn es sind viele authentische Hadise (Sahih) mit der Aufforderung ergangen, dem Kalifen verpflichtend zu gehorchen, auch wenn er ungerecht sein sollte, solange er keine Sünde anbefiehlt. Von ibn Abbas wird berichtet, dass der Gesandte Allahs (صلى الله عليه و سلم) folgendes sagte:

„Sollte jemandem etwas an seinem Emir (Befehlshaber) missfallen, so soll er sich in Geduld üben. Denn wer sich von einer Gemeinschaft auch nur um eine Handbreit entfernt und stirbt, der stirbt den Tod des Jahiliyya.“

Von Auf ibn Malik wird berichtet, dass er den Gesandten Allahs (صلى الله عليه و سلم) sagen hörte:

„(…) Und die schlimmsten unter euren Imame sind diejenigen, die ihr hasst und die euch hassen, die ihr verflucht und die euch verfluchen.“ Wir fragten: „O Gesandter Allahs, sollen wir sie dann nicht mit dem Schwerte bekämpfen?“ Er sagte: „Nein, solange sie das Gebet unter euch aufrecht halten. Wahrlich, wenn jemandem ein Befehlshaber vorgesetzt wird und er sieht, wie dieser einen Ungehorsam gegenüber Allah begeht, so soll er ablehnen, was dieser an Sünde begeht, jedoch keine Hand aus dem Gehorsam ziehen.“

Die Aufrechterhaltung des Gebets bedeutet das Regieren nach dem Islam. Die Aussage stellt eine Metonymie dar, bei der ein Teil benannt wird und das Ganze gemeint ist. Es ist nicht erlaubt, sich gegen den Herrscher zu erheben, außer er zeigt den offenen Unglauben. So ist es im Hadis von Ubada ibn Samit über die Bayʿa dargelegt worden, wo es heißt:

„Der Prophet rief uns zur Bayʿa auf und wir leisteten sie ihm. Zu dem, wofür er uns die Bay´a abnahm, zählte, dass wir hören und gehorchen, in allem, was uns lieb und unlieb ist, im Leichten wie im Schwierigen, auch auf die Bevorzugung (der Befehlshaber) uns selbst gegenüber hin, und dass wir die Befehlsgewalt jenen, die sie innehaben, nicht streitig machen. Es sei denn, ihr seht einen offenen Unglauben (kufr), für den ihr von Allah einen definitiven Beweis habt!“

Die Absetzung des Kalifen fällt in die Zuständigkeiten des Mazalim-Gerichts. Denn jede Gegebenheit, durch die der Kalif abgesetzt ist oder die Absetzung verdient, stellt eine Ungerechtigkeit (mazlima, Plural: mazalim) dar, die beseitigt werden muss. Diese Ungerechtigkeit muss jedoch juristisch festgestellt werden. Und diese Feststellung muss vor einem Richter erfolgen. Nachdem das Mazalim-Gericht die Entscheidungen zur Aufhebung der Ungerechtigkeiten im Islamischen Staate trifft und der Mazalim-Richter die Befugnis zur Feststellung einer Ungerechtigkeit innehat und dies in einem Urteil beschließt, obliegt es auch diesem Gericht, darüber zu entscheiden, ob einer der ob erwähnten Fälle, die eine Absetzung des Kalifen erforderlich machen, eingetreten ist oder nicht. Das Mazalim-Gericht ist auch das Gremium, das den Beschluss zur Absetzung des Kalifen fasst.


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