DIE ABSETZUNG DES KALIFEN

19-01-2021

DIE ABSETZUNG DES KALIFEN

 

Ein Kalif wird in zwei Situationen des Amtes abgesetzt:

 

1. Die Absetzung verläuft unverzüglich und automatisch; wenn sich sein Zustand in einer Weise ändert, die ihn (automatisch) aus dem Kalifat ausscheiden lässt.

Dies sind folgende drei Zustände:

- Wenn er vom Islam abfällt, darauf besteht oder eine Tat begeht, die eine Anzweiflung des Kufrs und Schirks besitzen.

- Wenn er in einem geistigen Irrzustand fällt, aus dem er nicht mehr erwacht.

- Wenn er von einem übermächtigen Feind gefangen genommen wird, ohne die Möglichkeit zu haben, ihm zu entkommen, oder die Hoffnung, von der Gefangennahme befreit zu werden.

In diesen drei Fällen gilt der Kalif direkt als abgesetzt und wird automatisch des Amtes enthoben, auch wenn noch kein Urteil mit seiner Absetzung erfolgt ist. Hierbei ist der Gehorsam ihm gegenüber nicht mehr verpflichtend, und seine Befehle werden von all jenen nicht mehr ausgeführt, für die der Eintritt einer dieser drei Fälle erwiesen ist. Die oben aufgeführten Zustände müssen vor einem Medhalim-Gericht[1] belegt werden, welches schließlich den Schiedsspruch über die Absetzung fällt und die Muslime somit das Kalifat einer anderen Person übertragen. 

 

2. Die Absetzung ist verpflichtend; wenn sich sein Zustand in einer Weise ändert, die ihn zwar nicht direkt aus dem Kalifat ausscheiden lässt, ihn aber islamrechtlich nicht mehr dazu berechtigt, das Kalifat fortzuführen.

Hierzu zählen folgende fünf Zustände:

- Wenn seine Rechtschaffenheit beschädigt ist, weil er offenkundig frevelhaft wird.

- Wenn er sich in eine Frau oder in einen effeminierten Zwitter umwandelt.

- Wenn er zeitweise in einem Zustand geistiger Verwirrung verfällt, so dass er manchmal bei Sinnen ist und manchmal nicht. In solch einem Fall kann ihm kein Vormund oder Bevollmächtigter bestimmt werden, weil der Kalifats-Vertrag auf seine Person abgeschlossen ist; deshalb ist es nicht erlaubt, dass eine andere Person seine Aufgaben übernimmt.

- Wenn er aus irgendeinem Grund schwächer bzw. unfähig wird, die Verantwortung des Kalifats zu tragen. Hierbei ist es unwichtig, ob sich diese Schwäche bzw. Unfähigkeit durch das Fehlen eines Körperteils oder durch eine unheilbare Krankheit ergibt, die ihn ohne Hoffnung auf Genesung an der Erfüllung seiner Arbeit hindert. Ausschlaggebend ist nur seine Unfähigkeit zur Erfüllung seiner Arbeit. Durch die Unfähigkeit der Vollziehung der Tätigkeiten, für die er als Kalif eigentlich eingesetzt worden ist, kommen nämlich die Angelegenheiten der Glaubensordnung und die Interessen der Muslime zum Stillstand. Demnach stellt solch ein Zustand ein Unrecht dar, welches beseitigt werden muss. Dieses Unrecht kann nur durch die Absetzung des Kalifen beseitigt werden, womit den Muslimen die Möglichkeit gegeben wird, einen neuen Kalifen zu ernennen. Deshalb ist die Absetzung des Kalifen in diesem Fall eine Pflicht.

- Wenn sich der Kalif jemanden in irgendeiner Weise unterwirft, wodurch er die Angelegenheiten der Muslime nach eigenem Ermessen gemäß dem islamischen Recht nicht mehr leiten kann, so ist er rechtlich gesehen nicht mehr in der Lage die Verantwortung des Kalifats zu tragen und seine Absetzung wird somit Pflicht. Dieser Zustand kann in zwei Fällen entstehen:

a) Eine oder mehrere Personen aus seinem Umfeld bemächtigen sich seiner und reißen die Entscheidungsgewalt an sich, nachdem sie den Kalifen ihrem Willen unterworfen haben und ihn nach eigenen Vorstellungen führen. Nun ist der Kalif gezwungen ihnen zu folgen bzw. zu gehorchen und ist nicht mehr in der Lage ihnen zu widersprechen. Hierbei muss folgendes untersucht werden: Ist die Hoffnung gegeben, dass sich der Kalif binnen kurzer Zeit von ihren Einfluss befreit, so wird ihm diese kurze Frist gewährt, um diese Leute zu entfernen und sich ihrer zu entledigen. Tut er das aber nicht, ist seine Absetzung verpflichtend.

b) Er gerät in einem Zustand, der dem eines Gefangenen ähnelt. D.h. der Kalif wird von einem Feind beherrscht und beeinflusst, wodurch er die Fähigkeit verliert, die Angelegenheiten der Muslime nach eigenem Willen zu führen. Hierbei ist zu klären: Besteht Hoffnung auf seine kurzfristige Befreiung aus diesem Zustand, dann wird ihm diese kurze Frist gewährt. Sollte aber die Befreiung des Kalifen vom feindlichen Einfluss nicht möglich sein, dann wird seine Absetzung zur Pflicht. 

In diesen fünf Zuständen, in denen die Absetzung des Kalifen obligatorisch wird, ist der Gehorsam ihm gegenüber weiterhin verpflichtend, bis seine Absetzung tatsächlich erfolgt. Der Eintritt einer dieser Situationen muss vor dem Madhalim-Gericht belegt werden. Das Gericht muss diesen Belegen nachgehen und anschließend ein Urteil über die Auflösung des Kalifats-Vertrages und die Absetzung des Kalifen erlassen. Mit dem Urteil ist der Kalif abgesetzt und die Muslime sind verpflichtet einen neuen Kalifen zu ernennen.

 

Grundsätzlich besteht der Unterschied zwischen diesen beiden Situationen darin, dass bei der ersten Situation der Kalif direkt/unverzüglich aus dem Kalifat ausscheidet und der Gehorsam ihm gegenüber mit bloßem Eintritt dieses Zustandes nicht mehr verpflichtend ist. Bei der zweiten Situation, bei der die Absetzung des Kalifen obligatorisch ist, ist der Gehorsam ihm gegenüber weiterhin verpflichtend, bis seine Absetzung tatsächlich erfolgt.

 

[1] Das Gericht, welches in Streitfragen zwischen dem Volk und Regierungspersonen entscheidet


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